6 Einführung

Die atmosphärische Grenzschicht (Atmospheric Boundary Layer ABL) bezeichnet jene bodennahe Schicht, welche durch thermische und mechanische Oberflächeneffekte beeinflusst wird. Bei windschwachen Hochdrucklagen mit starker Einstrahlung wird vor allem der thermische, bei schwacher Einstrahlung und starkem Wind vor allem der mechanische, Reibungseinfluss dieser Oberfläche fühlbar. Im thermisch aktiven Fall, das heisst bei einer sonnigen, windschwachen Wetterlage, lässt sich ein starker Tagesgang mit einer konvektiven, höherreichenden Grenzschicht tagsüber (1-2 km mächtig) und einer stabilen, wenig mächtigen (50-300 m) Kaltluftschicht während der Nacht beobachten. Nachts befindet sich über dem Kaltluftkörper ein ’Residual Layer’, welcher praktisch die Eigenschaften der konvektiven Grenzschicht des Vortages weiterträgt.

Unterschiedliche Oberflächenbedeckungen führen zu einer komplexen Modifikation der Grenzschicht. Insbesondere über Städten wird die klassische Zweiteilung der atmosphärischen Grenzschicht in eine ’Surface’ oder ’Constant Flux’ und eine ’Mixed Layer’ aufgrund der gewaltigen Vielfalt der Oberflächengestaltung weiter differenziert. Vor allem in Bodennähe, muss, wie bei einem Pflanzenbestand, eine sogenannte ’Canopy Layer’ eingeführt werden, welche die durch Objekte eingeschlossene oder umgebende Lufthülle abgrenzt. Eine Übersicht über die wichtigen Veränderungen physikochemischer Parameter im Stadtraum führt zu den wesentlichsten Elementen oder Erscheinungen des Stadtklimas wie Wärmeinsel, Stadtgewitter und Leeniederschläge, Lokalströmungen (vor allem Flurwinde) und zum bekannten, vor allem aus der Luft sichtbaren Phänomen der Dunst- oder Smogfahne. Stark vereinfacht kann die Stadtatmosphäre als trockenrauhe Wärmeinsel mit verschmutzter Atmosphäre bezeichnet werden. Eine grosse interdisziplinäre Stadtklimastudie wurde in den Jahren 1981-1991 in der Region Biel durchgeführt. Sie wurde unter dem Titel ’Biel - Klima und Luftverschmutzung einer Schweizer Stadt’ publiziert (Verlag P. Haupt. Bern 1991).

Gebirge verändern die bodennahe Atmosphäre ebenfalls durch ihre thermischen und mechanischen Einflüsse. Sie wirken entweder als Wärme- (Tag, Sommer) und Kältequellen (Nacht, Winter) oder deformieren das Druck- und Strömungsfeld. Je nach Grösse des betrachteten Gebirges werden diese Effekte regional oder sogar grossräumig sichtbar. Der grösste Einfluss geht dabei von den Plateaus der Rocky Mountains und des Himalayas sowie von den Anden und Grönland aus. Besonders interessant präsentiert sich die Situation in den Alpen, welche aufgrund ihrer gekrümmten Form und ihres Standortes im Grenzbereich zwischen Ozean und Kontinent besonders viele interessante Wetterphänomene aufweisen. Zu erwähnen sind zum Beispiel starke Hangabwinde wie der Föhn, kanalisierte Kaltluftströmungen wie Bora, Bise und Mistral oder sich fast explosiv entwickelnde Starkniederschläge. In fast allen Fällen müssen zum Verständnis der Prozesse sowohl thermische als auch mechanische Gebirgseinflüsse mitberücksichtigt werden. Als geradezu klassisches Beispiel gelten die gebirgsinduzierten Leezyklogenesen, deren Häufigkeit im Lee der Alpen das global beobachtete Maximum erreicht. Zusammen mit dem hervorragend funktionierenden alpinen Messnetz waren sie mit ein Grund, dass die Alpen in den Jahren 1982 und 1999 für die grossen meteorologischen Gebirgsexperimente ALPEX und MAP ausgewählt wurden. Im Mittelpunkt der Arbeiten standen dabei der Föhn, die Leezyklogenese und Starkniederschläge.